Ach, das machen Sie auch?

Meistens beschäftige ich mich in meinen Beiträgen ja mit Themen, bei denen es im weitesten Sinne um die Neukundengewinnung geht.

Erstansprache, Kundenqualifizierung, Akquiseprozesse, XING und LinkedIn im Vertrieb, Angebotsmanagement, Preisverhandlungstechniken, den Vertragsabschluss sowie die Effektivität und Effizienz in der Vertriebsarbeit.

Mit diesem Beitrag möchte ich mich mit dem Thema Bestandskundenmanagement befassen und hier besonders die Möglichkeiten zum Ausschöpfen der vorhandenen Potentiale bei den Bestandskunden beleuchten.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Situation, die schon viele Jahre zurückliegt. Als Vertriebsleiter eines Unternehmens aus der Elektrotechnik-Branche war ich mit einem unserer Außendienstmitarbeiter bei einem Kunden. Unser Gebietsvertreter – ein erfahrener Handelsvertreter – führte mich zu einem unserer langjährigen guten Kunden aus dem Bereich der Energieversorgung.

Wir saßen bei dem technischen Leiter, tranken Kaffee, knabberten Kekse, und betrieben fleißig Smalltalk. Nachdem uns allmählich der Redestoff ausging, versuchte ich das Thema in Richtung des Geschäfts zu lenken.

Wir lieferten seit vielen Jahren Kabelverteilerschränke in unterschiedlichen Größen, die wir anschlußfertig nach den technischen Vorgaben des Kunden komplettierten und auf Abruf direkt in die verschiedenen Außenläger zustellten.

Pflichtbewusst fragte ich nach, ob man denn mit der Qualität unserer Produkte, unserem Lieferservice und der Betreuung durch den Verkäufer zufrieden sei.

Der Betriebsleiter bekundete, dass wir zu den zuverlässigsten Lieferanten gehörten, mit einem ausgezeichneten Service und einer vorbildlichen Betreuung durch unseren Außendienst. Man erwarte für das kommende Jahr in etwa gleichbleibende Mengen und, sofern von Seiten des Einkaufs dem nichts entgegen spreche, sollten wir davon ausgehen, dass wir auch im folgenden Jahr den größten Teil des Bedarfs an Kabelverteilerschränken liefern dürften.

Hoch erfreut bedankte ich mich brav und begann, das Cross- und Up-Selling-Potentail des Kunden zu ergründen, was damals allerdings noch nicht so bezeichnet wurde. ;-)

Ich erwähnte, dass wir bisher ja nur einen Teil unseres Produktprogramms an den Kunden liefern, und fragte nach, ob man denn keine Hausanschluss-Säulen, Niederspannungsverteilungen oder Zählerschränke benötige.

Im Augenwinkel beobachtete ich, dass unsere Handelsvertreter nervös und umständlich versuchte, unseren Produktkatalog aus seinem Aktenkoffer zu fingern und irgendwie eine unnatürliche Gesichtsfarbe angenommen hatte.

Der Betriebsleiter unseres Kunden war Profi genug, um den Außendienstler nicht allzu schlecht aussehen zu lassen. Nach einer umständlich langen Vorrede beteuerte er, dass er sehr wohl wisse, was wir noch alles anbieten könnten, dass es bisher aber „nicht gepasst“ habe.

Ich beließ es zunächst dabei. Unser Außendienst-Kollege führte dann anhand unseres Produktkatalogs unsere komplette Lieferpalette vor und stellte sich dabei so ungelenk an, dass es nicht zu übersehen war, dass er sich selbst schon länger nicht mehr damit auseinander gesetzt hatte.

Später, im Auto sitzend, versicherte der Handelsvertreter, dass er sowohl dem Technischen Leiter als auch dem Einkauf mehrmals unser gesamtes Programm vorgestellt habe, es aber, aus für ihn nicht nachzuvollziehenden Gründen, noch nicht zum Auftrag gekommen sei.

Mir war klar, dass hier in den letzten Jahren einiges nicht wirklich gut gemacht wurde. Unser Außendienst war aber ansonsten fleißig und engagiert und auch menschlich gut zu ertragen, sodass ich es bei einer augenzwinkernden, formalen Aufforderung beließ, es zukünftig besser zu machen.

Nun, warum erzähle ich Ihnen dieses schon lange zurück liegende Erlebnis so ausführlich?

Weil es eine Situation und das damit verbundene Phänomen beschreibt, welches ich erstaunlicherweise über die vielen Jahre als Trainer und Berater immer noch und immer wieder erlebe.

Man macht gute und solide Umsätze mit einem Kunden, alle Beteiligten sind weitgehend zufrieden und bescheinigen sich gegenseitig, einen guten Job zu machen, aber die tatsächlich vorhandenen Potentiale werden nicht ausgeschöpft.

Häufig ist es dann der Zufall, der dem Kunden einen Hinweis auf weitere interessante Produkte des Lieferanten gibt, und dann hört man den Ausspruch, „Ach, das machen Sie auch?“

Warum ist das so?

Aus den gemachten Erfahrungen kann ich sagen, dass es nicht den einen, alles erklärenden Grund gibt. Viele Faktoren spielen dabei offensichtlich eine Rolle.

  • Bequemlichkeit und fehlende Erfahrung
  • Unkenntnis über die Leistungen und Prozesse bei dem Kunden
  • Unklare Entscheidungsstrukturen bei den Kunden
  • Regionale und räumliche Trennung von Verantwortlichkeiten auf Seiten des Kunden und des Lieferanten
  • Unzureichende Produktkenntnis des Verkäufers
  • Fehlende oder falsche Anreizsysteme im Vertrieb
  • Etc.

Die Liste ließe sich noch beliebig erweitern, da es sicherlich noch viele individuelle Gründe für das nicht ausschöpfen der vorhandene Potentiale bei den Bestandskunden gibt.

Glücklicherweise erlebe ich aber immer wieder auch Vertriebler und Unternehmen, die gerade im Bereich Cross- und Up-Selling vorbildlich agieren. In deren Vertriebsprozess einfache, aber klare Maßnahmen integriert wurden, mit denen gezielt nach möglichen Chancen für Zusatzgeschäfte, Verbrauchs- und Ersatzteilaufträge sowie Service- und Dienstleistungen gesucht werden.

Im Prinzip gilt es auch hier wieder – wie fast immer im Vertriebsprozess – zur richtigen Zeit die richtigen Fragen zu stellen und beharrlich die erforderlichen Wege zu gehen.

Überall in der Vertriebsliteratur wird darauf verwiesen, dass die Kosten für die Gewinnung eines Neukunden um ein Vielfaches höher sind als die systematische Ausschöpfung der Potentiale bei den Bestandskunden. Zumal man bereits über Ansprechpartner, Erfahrungen in der Zusammenarbeit und oft jahrelang erfolgreich durchgeführte Projekte verweisen kann.

Damit will ich nicht sagen, dass Sie ab sofort auf die Neukundenakquise verzichten sollen. Natürlich nicht!

Die systematische Nutzung von Cross- und Up-Selling-Chancen bei den zufriedenen Kunden bieten aber auf jeden Fall ein großes Potential für Umsatzwachstum, von dem schließlich sowohl das Unternehmen, der Verkäufer und idealerweise auch der Kunde profitiert.

Also, ran an den Speck!

Holger Steitz ist Trainer, Berater, Redner und Autor für Vertrieb, Führung und Verhandlungstechniken im B2B-Umfeld und der Kopf von SALE DIRECT. Die SALE DIRECT GmbH unterstützt B2B-Unternehmen bei der Entwicklung und Optimierung von Vertriebsstrategien und bei der Umsetzung von Konzepten zur Neukundengewinnung für erklärungsbedürftige Produkte und Dienstleistungen.

In dem im Haufe-Verlag erschienenen Fachbuch “Verkaufen ohne Tricks und Kniffe: Mit System zum B2B-Vertriebserfolg”, beschreibt Holger Steitz den kompletten Verkaufsprozess für Investitionsgüter und Dienstleistungen und gibt für alle Phasen Praxistipps für Einsteiger aber auch für Vertriebsverantwortliche in Unternehmen.

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