Die Grenzen in unseren Köpfen

Zum Jahresbeginn ist es wieder soweit. Überall finden sich jetzt wieder die Führungszirkel der Unternehmen zusammen und planen das nächste Jahr. Auch viele Klein- und Kleinstunternehmer, Selbstständige und Freiberufler nehmen sich jetzt die Zeit, um in einer ruhigen Stunde zu überlegen, was man im kommenden Jahr denn so alles erreichen möchte.

Bei einem Unternehmen aus Thüringen, aus der Werbe- und PR-Branche, war ich eingeladen, um den Planungsprozess zu moderieren und speziell die damit verbundenen Maßnahmen im Vertrieb zu planen, einzuleiten und die konkreten Steuerungs-und Führungsinstrumente zu implementieren.

In einem Hotel am Rande des Thüringer-Waldes traf sich die Führungsriege, bestehend aus den beiden Gesellschafter-Geschäftsführern sowie insgesamt sechs Führungskräften beziehungsweise Schlüssel-Mitarbeitern aus den Funktionsbereichen, um das nächste Jahr zu planen.

Im Vorgespräch erklärten die beiden Geschäftsführer, dass nach ihrer Einschätzung der Markt sowie die Ressourcen und Möglichkeiten des Unternehmens durchaus ein deutlich höheres Wachstum zuließen, als die durchschnittlich drei bis vier Prozent der letzten fünf Jahre. Demzufolge bestand meine Aufgabe darin, den Teufelskreis zu durchbrechen und die möglichen Potentiale in die Köpfe der Führungskräfte sowie in die Planung und Umsetzung zu bringen.

Die Zahlen der letzten und des laufenden Jahres lagen vor, Informationen über die Marktentwicklung, Prognosen und zu erwartenden Projekte aus der Stammkundschaft sowie sich abzeichnende Chancen bei Neukunden wurden kontrovers diskutiert.

Nach langem Hin und Her entwickelte sich schließlich eine, von manchen aus der Gruppe als konservativ, aber realistisch und von anderen als ambitioniert, aber erreichbar eingeschätzte Umsatzplanung, die in einer Steigerung von etwas über drei Prozent im Vergleich zum laufenden Jahr mündete. Also alles wie gehabt.

Entsprechend meiner Aufgabenstellung begann ich unangenehme Fragen zu stellen. Zunächst erntete ich nur abschätzige Blicke, mitleidiges, süffisantes Lächeln und Kommentare, die mein offensichtlich nicht vorhandenes Insider-Branchenwissen aufdecken sollten. Meine Fragen bezogen sich darauf, ob es denn nicht möglich sei, aus den nun vorliegenden gut drei Prozent auf 10 oder gar 20 Prozent Steigerung zu kommen.

Wie erwartet, schmetterten mir die Werbe- und PR-Fachleute gefühlte tausend Argumente entgegen, die meinen Vorschlag als absurd und völlig unmöglich darstellen sollten. Fehlendes Knowhow in bestimmten Bereichen, unzulängliche IT-Ausstattung, fehlende fachliche Eignung mancher Mitarbeiter, unzureichende Marktkenntnis, nicht vorhandener Zugang in bestimmte Märkte und natürlich auch die fehlende Vertriebspower wurden als nicht wegzudiskutierende Hindernisse aufgezählt, die ein deutlicheres Wachstum absolut unmöglich machten. Punkt!

Ich ließ nicht locker und erzählte schließlich die Geschichte von Sir Roger Bannister.

Roger Bannister war ein britischer Mittelstreckenläufer aus den 1940er- und 50er-Jahre, der vorwiegend auf der Meilenstrecke unterwegs war.

Jahrzehntelang galt es als absolut unmöglich, die Meile unter vier Minuten zu laufen. Über viele Jahre hatten sich unzählige der besten Läufer vergeblich bemüht, diese magische Grenze zu durchbrechen. Trainer, Mediziner und Wissenschaftler der damaligen Zeit gingen davon aus, dass der menschliche Organismus, das Herz und die Lunge sowie der Knochen- und Muskelapparat nicht in der Lage seien, den Belastungen standzuhalten, die eine derartige Leistung erforderte.

Roger Bannister hatte sich zum Ziel gesetzt, den Rekord zu knacken und nach vielen vergeblichen Versuchen gelang es ihm schließlich am 6. Mai 1954, auf dem Gelände der Oxford University, mit einer Zeit von 3 Minuten 59,4 Sekunden die magische Grenze zu durchbrechen.

Das, was aber schließlich als „Bannister-Effekt“ in die Geschichte einging, war aber etwas ganz anderes.

Nachdem nämlich Roger Bannister am 6. Mai 1954 diese scheinbar unüberwindbare Grenze überschritten hatte, schafften noch im gleichen Jahr weitere 37 Athleten ebenfalls die Meile unter vier Minuten zu laufen.

Roger Bannister hatte keine neue Technik entwickelt und es wurden auch keinerlei unerlaubten Substanzen eingesetzt. Das einzige was sich geändert hatte, waren der Glaube und die Überzeugungen dieser Läufer.

Was vorher als unmöglich galt, war nun als machbar bewiesen. Mit seinem Rekordlauf hat Roger Bannister nicht nur die magische Marke von vier Minuten eingerissen, sondern auch die Denkblockade, dass dies nicht möglich sei. Alle Welt wusste nun, dass es möglich war und jeder Athlet konnte daran glauben, dass es zu schaffen ist und deshalb gelang es ihnen ebenfalls.

Nach meiner kurzen Geschichte war es ganz still im Raum. Niemand sagte etwas, bis schließlich nach einer gefühlten Ewigkeit eine der teilnehmenden Damen leise und ruhig zu sich selbst sagte: „Grenzen existieren nur im Kopf“.

Ich merkte, wie meine Geschichte und dieser Satz in den Köpfen der Teilnehmer arbeitete und brach das erneute Schweigen, in dem ich die Frage, die ich eingangs gestellt hatte, umformulierte.

„Was müsste denn passieren, getan und verändert werden, um im nächsten Jahr ein Umsatzwachstum von 10 bis 20 Prozent zu erzielen?“

Nach einer erneuten kurzen Pause, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können, sagte schließlich einer der Abteilungsleiter, „Dazu müssten wir zum Beispiel die Pharma-Branche angehen“. „Dann müssen wir unser Packaging-Knowhow erweiterten“, warf eine Kollegin ein und der Vertriebsmann bemerkte, dass man dazu auch die Vertriebsressourcen ausbauen müsste.

Jetzt waren wir auf dem richtigen Weg und nach einer Kaffeepause sammelten wir gezielt die notwendigen Maßnahmen und Aktivitäten, die für die Zielerreichung – Umsatzsteigerung um 20% – tatsächlich angegangen und vor allem auch umgesetzt werden müssen.

Es entstand eine To-Do-Liste mit mehr als 60 Punkten, in der natürlich auch Investitionen und Personalmaßnahmen enthalten waren.

Die jeweiligen Punkte ordneten wir thematisch, bildeten Projekte und Aufgabenpakete und fügten schließlich noch Verantwortliche und Termine hinzu.

Am Ende des Tages hatten wir eine umfangreiche und nahezu vollständige Planung für das kommende Jahr, mit konkreten Projekten, Aufgaben und Terminen für das gesamte Unternehmen, die alle auf das große Ziel – Umsatzwachstum von 20% für das Jahr 2018 – ausgerichtet waren.

Das Feedback der Inhaber und deren Mitarbeiter war erwartungsgemäß sehr gut. Besonders gefreut hat mich aber, dass fast alle Teilnehmer hervorhoben, dass sie jetzt deutlich motovierter und mit mehr Elan in das kommende Jahr gehen würden und man vielen diese neue Begeisterung auch anmerken konnte.

Ich darf das Unternehmen auch im kommenden Jahr als Berater und Coach begleiten und halte sie gerne über den Verlauf und die Ergebnisse durch Blogbeiträge und Posts auf dem Laufenden. Seien Sie gespannt…

Holger Steitz ist Trainer, Berater, Redner und Autor für Vertrieb, Führung und Verhandlungstechniken im B2B-Umfeld und der Kopf von SALE DIRECT. Die SALE DIRECT GmbH unterstützt B2B-Unternehmen bei der Entwicklung und Optimierung von Vertriebsstrategien und bei der Umsetzung von Konzepten zur Neukundengewinnung für erklärungsbedürftige Produkte und Dienstleistungen.

In dem im Haufe-Verlag erschienenen Fachbuch “Verkaufen ohne Tricks und Kniffe: Mit System zum B2B-Vertriebserfolg”, beschreibt Holger Steitz den kompletten Verkaufsprozess für Investitionsgüter und Dienstleistungen und gibt für alle Phasen Praxistipps für Einsteiger aber auch für Vertriebsverantwortliche in Unternehmen.

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